Florence Brenzikofer tritt in Unterrock und Trachtenbluse aus der Umkleidekabine der Trachtenstube auf dem Oltinger Spielhof. Sie zieht den Rock ihrer Baselbieter Sommertracht über und knöpft ihn zu. Trachtenschneiderin Marianne Gysin geht zum Spiegel, um die Blusenärmel zurechtzuzupfen. «Der Unterrock darf nicht unter dem Rock hervorblitzen. Und hier darf die Bluse nicht rausschauen», sagt sie und zieht den blauen Rock am Kragen über den weissen Blusenstoff. Gysin muss Brenzikofer an dieser letzten Anprobe alle Details zeigen. Im August wird die Nationalrätin die Tracht am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Pratteln tragen.

Das ESAF ist aber nicht der einzige Grund, weshalb sich die Grünen-Nationalrätin eine eigene Tracht zulegt. «Ich finde es unglaublich schön, Traditionen zu pflegen oder wiederzubeleben», sagt Brenzikofer, die selber in Oltingen lebt. Sie nennt als Inspiration auch die zwei Jahre, die sie in Bolivien verbracht hat: «Dort waren junge Frauen richtig stolz auf ihre Trachten. Sie haben sogar in ihnen Fussball gespielt.» Das habe sie inspiriert, sich mit Baselbieter Traditionen auseinanderzusetzen. Die Werktagstracht beispielsweise wurde früher für die Arbeit auf dem Feld getragen. «Das kann man sich heute fast nicht vorstellen.»

Maya Graf wird die Festtagstracht tragen

Dass es für sie eine Werktags- und keine Sonn- oder Festtagstracht (siehe Box) werden sollte, war von Anfang an klar. Und habe nichts damit zu tun, dass Ständerätin Maya Graf für das ESAF die aufwendigere Festtagstracht gewählt hat, die ebenfalls von Gysin stammt. «Nein, wir haben uns nicht abgesprochen», sagt Brenzikofer und lacht. «Mir gefällt die Werktagstracht einfach besser.» Sie bindet die gestreifte Schürze um, Gysin prüft die Länge: Zwei Zentimeter höher als der Rock muss die Schürze enden, 28 bis 30 Zentimeter sollen zwischen Rockende und Boden liegen.

Ausgesucht hat Brenzikofer das Modell aus der Trachtenstube Gysins, wo diese gebrauchte Trachten anpasst und weiterverkauft. «Vor acht Jahren habe ich damit angefangen», sagt Gysin, «nachdem ich immer mehr Trachten erhalten habe, die nicht mehr gebraucht wurden oder Erbstücke waren.»

Für Brenzikofer kam eine neue Tracht nicht infrage, sie wollte ein Gewand mit Geschichte abändern lassen. Entschieden hat sie sich für ein hellblaues Modell mit gestickten statt gedruckten weissen Blumen. Darüber legt sie nun das Fichu-Tuch, das sie erstmals unter Anleitung Gysins selbst mit der silbernen Brosche, auf der sich ein Baselbieter Stab befindet, zusammensteckt.

Neben der Wiederverwertung wertvoller Materialien hat das Zurechtschneidern gebrauchter Trachten einen weiteren Vorteil, wie Marianne Gysin erwähnt: «So ist es auch jungen Frauen möglich, eine Tracht zu kaufen, die sich eine neue vielleicht nicht leisten könnten.»

Denn neu kann das traditionelle Kleid gut und gerne einige tausend Franken kosten, einen Grossteil davon macht das teils handgestickte, -gestrickte und -genähte Material aus. Gebraucht und angepasst kostet die Tracht rund ein Viertel bis ein Drittel.

Ein Schnitzmesser zum Geburtstag

In den Monaten vor dem ESAF verbringt Gysin, welche die Ausbildung zur Baselbieter Trachtenschneiderin vor 29 Jahren abgeschlossen hat, viel Zeit mit Nähen – Sommertrachten nehmen rund 45 Stunden Arbeit in Anspruch, Festtagstrachten 75 Stunden. Mit letzteren kleidet sie die zwölf Ehrendamen ein, wobei ihr die lernenden Bekleidungsgestalterinnen der Berufsfachschule Basel helfen. Es sind aber nicht nur Politikerinnen und Ehrendamen, die in Pratteln Gysins Trachten tragen werden. Generell stellt sie einen Boom fest. Besonders die Werktagstracht sei derzeit beliebt. Die Wintertracht habe in den 80er-Jahren geboomt, sei heute jedoch kaum gefragt.

«Auch bei Bäuerinnen ist die Tracht wieder im Trend», erzählt sie: Habe an den Generalversammlungen der Bäuerinnen und Landfrauen beider Basel vor 30 Jahren noch jede und vor zehn Jahren kaum jemand eine Tracht getragen, gebe es nun wieder vermehrt Frauen, die im Traditionskleid zur Versammlung aufkreuzten. Gysin selber hat das Baselbieter Gewand bei jeder passenden Gelegenheit an; sie hat sogar kurz nach der Ausbildung in der Hochzeitstracht geheiratet.

Auch Brenzikofer hofft, die Tracht nicht nur für die Verleihung des Baselbieter Kulturpreises, die am 11.Mai in Oltingen stattfindet, und das ESAF zu tragen. «Vielleicht am 1.August», sagt sie fragend und lacht. Mittlerweile ist die Nationalrätin fertig angezogen. Am Bund der Schürze steckt sie ihr Schnitzmesser aus Horn mit silberner Kette und Hafte an. «Ein Geburtstagsgeschenk an mich selber», scherzt Brenzikofer, die am Freitag 47 Jahre alt wird. Sie macht einen Schritt zurück, schaut sich von oben bis unten im Spiegel an und lächelt, Marianne Gysin hinter ihr. Die Trachtenschneiderin wischt glättend über den Stoff. «Sitzt», sagt sie.

Trachtenschneiderin Marianne Gysin und Nationalrätin Florence Brenzikofer in Werktagstrachten.

Die Baselbieter Trachten

Tradition Das Baselbiet kennt drei kantonale Frauentrachten. Die Ehrendamen tragen am ESAF die Festtagstracht (siehe Bild rechts); sie ist erkennbar am plissierten Rock aus Wolle-Leinen-Stoff, dem aufwendig bestickten Seiden-Schultertuch und dem Band, das in Baselbieter Rot das Mieder schnürt. Hinzu kommen rote Strümpfe, Trachtenschuhe, Schnitzsack, Schürze und Schmuck – dieser wird streng in Silber gehalten. Zur Festtagstracht kann eine Begine aus schwarzer Seide oder ein Strohhut getragen werden, die Haare sind geflochten.

Die Sommertracht, auch Werktagstracht genannt, besteht aus weniger Komponenten: Über dem Unterrock und der Bluse tragen Frauen einen blauen Rock, eine Schürze, weisse Strümpfe, Trachtenschuhe, einen Schnitzsack im Schürzenstoff und ein weisses Fichu.

Weiter gibt es die Wintertracht, auch Sonntagstracht genannt; sie besteht aus Bluse, Unterrock, Rock, Halstuch, Jacke, Schürze, beigen Strümpfen, Trachtenschuhen und Schnitzsack. Letztlich gibt es im Baselbiet drei Birseck-Trachten (Festtags-, Sommer-/Werktags- und Wintertracht) sowie drei Laufentaler Trachten (Festtags-, Sonntags-/Werktags- und Wintertracht).

Die Festtagstracht für Männer besteht aus Anzug, Hemd, Krawättli, rotem Gilet, weissen Socken, Trachtenschuhen und schwarzem Filzhut. Sechs silberne Filigranknöpfe zieren das Gilet, dazu kommen zwei silberne Manschettenknöpfe. Bei der Werktagstracht tragen Männer Hose, Hemd, Burgunderbluse (Blauhemmli), weisse Socken und Trachtenschuhe. Dazu ein Hut aus Filz oder eine schwarze Zipfelmütze.

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