Die Schweiz unterstützt die europäische Grenzagentur Frontex als Schengen-Mitglied seit 2009. Nun soll der Beitrag auf jährlich 61 Millionen Franken erhöht werden, wogegen Flüchtlingsorganisationen und Parteien das Referendum ergriffen. Dieses Geld würde dafür genutzt, eine Truppe mit 10000 Grenzschutzbeamtinnen und beamten aufzubauen.


Diese Entwicklung hin zu einer armeeähnlichen Institution trägt in keiner Weise dazu bei, die humanitäre Katastrophe an den europäischen Aussengrenzen zu bewältigen. Wer heute unfreiwillig sein Land verlassen muss, ist gezwungen, sich auf gefährlichen
Fluchtrouten durchzukämpfen. Zum Beispiel mit der Hilfe von kriminellen Schleppern über das Mittelmeer, wo in den vergangenen acht Jahren fast 20000 Menschen gestorben sind. Obwohl auch Frontex dazu verpflichtet wäre, die Flüchtlingskonvention und das Seerecht einzuhalten, gibt es unzählige Beispiele für systematische Menschenrechtsverletzungen, bei denen Frontex-Beamte anwesend waren. An der serbischungarischen Grenze wurden beispielsweise Tausende Menschen ohne rechtmässiges Verfahren abgeschoben. Ein ähnliches Bild bietet sich in Griechenland,
wo griechische Grenzbeamte regelmässig geflüchtete Menschen auf dem Ägäischen Meer aussetzten. Sie zerstören ihre Boote und lassen sie ohne Motor oder
in schwimmenden Rettungsinseln auf dem Meer treiben. Und Frontex schaut zu, ohne einzugreifen.

Was passiert bei einem Frontex-Nein?
Die Schweiz und die EU müssten eine angepasste Lösung ausarbeiten. Die Schweiz ist nach fast 20 Jahren SchengenMitgliedschaft so eng mit den europäischen Sicherheitsinstitutionen verwoben, dass weder die EU noch die Schweiz ein Interesse hat, dass die Schweiz aus Schengen austritt. Die Schweiz kann mit diesem Nein
einen Beitrag zur Verbesserung von Frontex leisten und die Gelder an Bedingungen in Bezug auf die Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten knüpfen. Dies hat im Oktober 2021 auch das Europäische Parlament gemacht. Es blockierte 12 Prozent des
Frontex-Jahresbudgets, weil die Agentur ihre Pflichten im Bereich Menschenrechte nicht erfüllt.


Mit einem Nein können wir als humanitäre Schweiz diese Bemühungen unterstützen. Und gleichzeitig ist ein Nein das Signal, dass auch wir Hausaufgaben für eine menschlichere Asylpolitik haben: Mit der vermehrten Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen («Resettlement-Kontingente»), mit der Vergabe von humanitären Visa und mit der Wiedereinführung des Botschaftsasyls hätten wir genügend Instrumente, um mehr sichere Fluchtwege zu ermöglichen.