Carte Blanche: Mantel was ?
Bern in der Frühjahrssession: Während rund 80 Stunden hat der Nationalrat in den letzten drei Wochen Gesetze und Vorstösse beraten. Die längste Debatte erstreckte sich über drei Tage und dauerte fast 15 Stunden. Beraten wurde der «Mantelerlass», den der Bundesrat bereits 2021 dem Parlament unterbreitet hatte. Es hat weder mit einem Kernmantel eines AKWs noch mit einem Kleidungsstück zu tun.
Mit einem Mantelerlass werden mehrere Gesetze in einem einzigen Beschluss geändert. Inhaltlich geht es um eine Neugestaltung des Energie- und Stromversorgungsgesetzes. Nachdem die Grünen während Jahren alleine auf weiter Flur auf die Chancen der erneuerbaren Energien hingewiesen haben, gibt es in Bern inzwischen einen grossen Konsens, dass die Zukunft der Energiepolitik weder im russischen Gas noch im saudischen Öl zu suchen ist.
Für Berner Verhältnisse hat sich das Umdenken in der Energiepolitik mit geradezu revolutionärer Geschwindigkeit abgespielt. Mancherorts ist eine Goldgräberstimmung spürbar, man erhofft sich Zugang zu Fördertöpfen und ist bereit, der Stromgewinnung alle anderen Interessen unterzuordnen. In solchen Momenten droht der Natur die grösste Gefahr. Fische, Kleinstlebewesen, Pflanzen – sie erscheinen plötzlich nebensächlich, ihre Bedürfnisse werden wegdiskutiert und der Naturschutz wirkt als Bremser. So beschloss der Nationalrat beispielsweise äusserst knapp mit 95 zu 94 Stimmen, einen Teil des Gewässerschutzgesetzes einfach zu sistieren. Die
Grenzwerte für Restwasser bei Stauseen sollen bis mindestens 2035 ausser Kraft gesetzt werden, was besonders für Tiere und Pflanzen prekäre Auswirkungen haben kann.
Das ist völlig unverhältnismässig, da nur eine geringe Menge Strom gewonnen wird, dadurch aber für die Natur, die Trinkwasserversorgung und für die landwirtschaftliche Bewässerung massive negative Auswirkungen entstehen. Weiter hat der Nationalrat entschieden, dass bei Eingriffen in Landschaften des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN), anders als bisher, künftig keine Ausgleichsmassnahmen mehr geleistet werden müssen. Paradoxerweise müssen solche Massnahmen in weniger wertvollen Landschaften weiterhin durchgeführt werden. Auch Gletschervorfelder und alpine Schwemmebenen sollen nicht mehr speziell geschützt sein.
Auf der anderen Seite hat der Rat aber viele Chancen verpasst, konkrete Massnahmen zu beschliessen, mit denen die Effizienz beim Energieverbrauch gesteigert werden könnte. So soll es weiterhin erlaubt sein, Elektroboiler zu installieren oder gar elektrische Widerstandsheizungen. Anders als der Ständerat hat der Nationalrat immerhin den Biotopschutz wieder in die Vorlage integriert. Biotope von nationaler Bedeutung machen nur 2 Prozent der Landesfläche aus, beherbergen aber einen Drittel aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Sie sind das Herz der Schweizer Natur – manche Goldgräber sähen auch hier lieber Kraftwerke.
Nach der ersten Runde ist das Resultat für die Natur insgesamt weiterhin schlecht, weshalb ich mich in der Gesamtabstimmung der Stimme enthalten habe. Wir müssen die Energiewende mit der Natur, nicht gegen sie gestalten. Dafür setze ich mich ein, damit auch ich am Ende der Vorlage zustimmen kann.